Interview
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5 Jahre mit dem Fahrrad um die Welt: Jens Ackermann im Interview

Jens lebt das Leben eines echten Globetrotters. Seit fünf Jahren fährt er mit seinem Fahrrad durch die ganze Welt. Angefangen hat alles im Sommer 2007, als er von Berlin an die Ostsee radelte. Seitdem hat er mit dem Rad schon  alle Teile der Erde besucht.

Diese Art zu Reisen hat Vorteile, meint Jens, er nehme Erlebnisse viel intensiver wahr. Manchmal spüre er die Landschaft „buchstäblich im ganzen Körper.“ Daneben sucht er das Verständnis vergangener und aktueller Lebenseinstellungen beim Besuch kulturhistorischer Orte.

Jens mit seinem aktuellen Fahrrad

 

Wir haben auf unserer Reise viele Langzeitreisende getroffen. Aber du bist von allen mit am längsten unterwegs und hast dich für die Fortbewegung auch für ein schweißtreibenden Transportmittel entschieden. Wie kam es dazu?

Die Affinität zum aktiven Lebensstil liegt in mir. Das macht mir am meisten Spaß, wenn es draußen hinreichend warm ist. Also radle ich im Sommer in Europa und im Winter in einer anderen warmen Region dieser Welt.

Sehr schnell konnte ich lernen, wie leicht einem Radfahrer die Teilhabe am Alltagsleben fällt und wie neugierig die Einheimischen auf einen fremden Radfahrer sind, besonders in Gegenden, in die sich normalerweise kaum ein Reisender verirrt. Einmal hat mich ein pensionierter malayischer Englischlehrer angesprochen und bemerkt, er habe seit über 20 Jahren mit keinem Ausländer mehr Englisch gesprochen. Über 2 Stunden haben wir uns in seinem Dorf zwischen Kuala Lumpur und Melakka unterhalten. Dabei habe ich viel über das Denken in Malaysia erfahren.

 

Überraschend war, für uns zu hören, dass du gar nicht immer mit deinem eigenen Fahrrad unterwegs bist. Kannst du ein bisschen erzählen, was es damit auf sich hat?

Leider musste ich erleben, wie hart die Airport-Arbeiter mit Sportgepäck umgehen. Auf den ersten Flügen hatte ich noch mein Fahrrad aufgegeben, und jedes Mal trug es kleinere (oder größere) Schäden davon. Solange es nur Kratzer am Rahmen sind, kann ich bequem darüber hinwegsehen; einmal hat es auch die Gangschaltung erwischt.
Der zweite Aspekt sind die Kosten: Oft kostet ein lokales Rad in mittlerer Qualität weniger als der Transport eines Rades von Europa aus und wieder zurück. Dazu kommt die größere Flexibilität bei der An-, Weiter- und Rückreise ohne eigenes Fahrrad.

Am Zielort habe ich das Rad dann verschenkt oder gegen Freiübernachtungen mit Airport-Transfer eingetauscht.

 

Was gehört für dich in dein Reisegepäck auf jeder Tour?

  • Notebook
  • Reiseführer, der mir den kulturhistorischen Kontext erklärt
  • (Straßen)Karten

 

Wenn jemand den gleichen Traum hat, welche Tipps für die Realisierung würdest du geben? Gibt es ein Finanzierungsgeheimnis?

Am wichtigsten ist die Kultivierung der Neugier auf Neues und ein bißchen Abenteuer. Alles andere ergibt sich. Aus praktischer Sicht: „Keep it simple“ und „Gepäck, so klein wie möglich“.
Zur Finanzierung: Es gibt kein Geheimnis. Es reicht, wenn ich die Einnahme- und die Ausgabenseite gleichermaßen betrachte.

 

Was magst du, an deiner Art des Reisens besonders?

Ein Fahrrad bietet mir die Möglichkeit zum Besuch abgelegener Orte, in die es nicht einmal öffentliche Verkehrsmittel gibt. Bei Reisen in den USA und in Griechenland musste ich das mehrfach feststellen. Ein Mietwagen hat mir zwar doch das Reisen ermöglicht, mit einem Fahrrad kann ich die gleiche Strecke signifikant intensiver erleben.

 

Bereitest du deine Routen sehr gründlich vor, oder ist es eher grob und du lässt dich unterwegs von den Gegebenheiten lieber überraschen?

Bei der organisatorischen Vorausplanung muss man sehr gründlich sein, d.h. Einreisebestimmungen, Klima, Infrastruktur im Reiseland usw..

Daneben lege ich mir eine grobe Strecke zurecht, die meinen Vorlieben und körperlichen Grenzen entspricht. So kann ich situationsabhängig reagieren und mich selbst für manche Strapaze belohnen.

 

Was war das schönste Erlebnis auf einer deiner Radtouren und was das traurigste?

Mit dem Schönsten Erlebnis tue ich mich etwas schwer; es gab so viele unvergessliche Momente, die mich auch heute noch beeindrucken. Da war das Abendessen in einem Studentenwohnheim in Sde Boqer (Israel) während des Gaza Krieges 2008/09. Die Student/innen feierten den Vorabend des Sabbat; es waren Israelis, Palastinenser, Jordanier, Ägypter, Syrer, Kanadier und andere, die hier zusammen saßen und für schnellen Frieden beteten unabhängig von Herkunft und Religion.

Da war das starke Gewitter, das mich urplötzlich in den rumänischen Karpaten heimsuchte. Schutzlos konnte ich das Rad nur noch gegen die Strömung schieben bis zu einer Scheune. Etwas später haben die Bewohner den völlig durchnässten Radler entdeckt und mir sofort ein Nachtquartier mit selbstgekochter Gulaschsuppe angeboten. Richtig lecker. Am nächsten Morgen wollten sie mich fast gar nicht weiterfahren lassen.

Solche Erlebnisse könnte ich aus allen Regionen berichten. Zum Glück ist mir noch nichts ernsthaft Widriges passiert.

Hhmmmh. Während der Abfahrt aus den Cameron Highlands in Malaysia hörte ich kurz vor mir ein schepperndes Geräusch: ein Moped ist hinter einer Kurve mit einem Kleinlaster zusammen gekracht, und der Mopedfahrer lag etwa 20 Meter entfernt reglos am Boden. Inzwischen hatten ein paar Autos angehalten, doch niemand konnte (oder wollte) helfen. Eine Telefonverbindung im Regenwald gab es nicht. Schließlich habe ich die Initiative ergriffen, und gemeinsam haben wir den jungen Mann, der immer noch bewußtlos war, mit Hilfe zweier Geflügeltransportkisten auf einen Pick Up verladen und in die nächste Ortschaft geschickt. Er hatte ein gebrochenes Bein und reichlich Blutungen an Kopf und Oberkörper – und wer weiß, was sonst noch.

Tja, traurig war ich auch bei der Einreise in die USA für eine dreimonatige Tour von der Golfküste Floridas nach Maryland. Obwohl ich alle Formalitäten korrekt erledigt hatte, hat mir bei der Einreise niemand geglaubt, dass ich eine Langstreckenreise mit dem Rad machen würde. Über eine Stunde haben die Beamt/innen mich ausgequetscht über das was?, wie? und wohin? der Tour. Seitdem mache ich mir ernste Sorgen über das paranoide Schutzbedürfnis der Amerikaner.

 

Bist du schon mal in gefährliche Situationen gekommen?

Passiert ist mir zum Glück noch nichts. Extrem chaotisch ist der Stadtverkehr in Guangzhou: niemand hält sich an die Fahrspuren, selbst die Fahrradlane wird von Bussen, Lieferverkehr und unzähligen Mopeds genutzt und verstopft. Man fährt wie in einem Ameisenhaufen. Genau so kritisch sind die Überholmanöver des Gegenverkehrs in Nord-Zypern gewesen: Fahrräder gelten offenbar als zu vernachlässigende Größe. Konkret kommt dem Radfhrer plötzlich ein überholendes Auto mit Vollgas direkt entgegen. Das war schon manchmal haarscharf.

 

Fast jeden Tag auf ein Fahrrad zu steigen, verlangt ein hohes Maß an Disziplin und Ausdauer. Was ist dein Antrieb auch bei Regen z.B. los zu fahren?

Meine Touren plane ich mit etwa 1.000 km pro Monat Fahrleistung. Das ist sehr wenig, und bietet mir den Luxus zu reichlich Pausen. Bei Regen oder Sturm fahre ich ohnehin nicht, und sonst genieße ich auch mal einen entspannten Ruhetag mit Lektüre. Das Rad ist vor allem ein Fortbewegungsmittel und steht nicht im Fokus der Reise.

 

Drei Stichworte, was fällt Dir ein zu:

  • Heimat?
    Ist dort, wo ich mich wohlfühle.
  • Platter Reifen?
    Kommt immer wieder mal vor. Schlauchwechsel und kleinere Reparaturen muß ein Radler selbst sofort erledigen können.
  • Hunger und Durst?
    Bis jetzt gab es für mich immer ausreichend Verpflegung.

Laos: Berge bei Vang Vieng

Wir haben in Laos die meisten Radfahrer auf unserer Reise in Asien gesehen. Woran liegt es deiner Meinung nach, das Laos bei Radlern sehr beliebt zu sein scheint?

Das wundert mich auch. So viele Radfahrer außerhalb Europas habe ich auch noch nie getroffen. Dabei ist Laos nördlich von Vang Vieng wirklich nicht leicht zu befahren, und die Landschaft ist zwar spektakulär, jedoch bei weitem nicht einzigartig.

Allgemein treffen sich Reisende an bestimmten Orten, auch wenn es dafür eigentlich gar keinen objektiven Grund gibt. Vang Vieng etwa bietet außer der guten touristischen Infrastruktur (Transport, Unterkünfte, Outdoor-Aktivitäten usw.) nichts Einzigartiges und dennoch ist es überlaufen.

 

Du bist viel in China unterwegs gewesen. Hast du die rapiden Veränderungen der letzten Jahre auch selbst miterlebt, als du vor Ort warst?

Die erste Chinareise habe ich 2001 unternommen und war seitdem etwa alle 2-3 Jahre in verschiedenen Teilen Chinas unterwegs. Jedes Mal konnte ich die Veränderungen in den Städten, beim Lebensstandard, bei der Bildung usw. erkennen. 2010 haben mir mehrere Familien stolz ihr brandneues Kabelfernsehen mit ungefähr 100 chinesischen Kanälen gezeigt. Ich wurde geradezu aufgefordert, mit der Fernbedienung die neuartigen Möglichkeiten auszuprobieren.
2012 war der Lebensstandard so weit gewachsen, dass sich viele Mittelstandsfamilien moderne Küchengeräte leisten konnten. Dadurch hat sich die Vielfalt an Speisen, die man zu Hause zubereiten kann, enorm verbreitert.

Ungefähr 2007 wurde flächendeckend an öffentlichen Schulen Englischunterricht eingeführt. In den Jahren danach konnten Grundschulkinder einfache Phrasen zwischen ihren Eltern und mir übersetzen. Heute sind diese Kinder älter geworden, beherrschen einen umfangreicheren Wortschatz und sind so selbstbewusst, dass sie ohne elterliche Hilfe das Gespräch mit Ausländern annehmen. Bürger der gebildeten Ober- und Mittelschicht haben ihre Kinder ohnehin schon in den Jahren zuvor zum privaten Englischunterricht oder zu Auslandsaufenthalten geschickt.

Diese Beispiele könnte man beliebig fortsetzen, sei es der Bau eines hypermodernen Satellitenstadtteils in Guiyang oder das Bezahlen von Einweg-Plastiktüten in Supermärkten. Natürlich habe ich schon 2005 den Transrapid in Shanghai genutzt.

Fahrrad mit Bild in Shanghai

Hast du eine Lieblingsstrecke in Asien?

Bislang bin ich noch keine Strecke zweimal gefahren. Jedes Land hat seine Vorzüge und Nachteile. Sehr angenehm sind in Malaysia die breiten Emergency-Lanes links, die sogar von Auto- und LKW-Fahrern respektiert werden.

 

Welche Länder würdest du immer wieder befahren und welche auf keinen Fall nochmal? Warum?

China und Malaysia sind meine Favoriten in Asien, außerdem die USA und die EU. In diesen Ländern ist entweder die Infrastruktur für Radfahrer großzügig ausgebaut und/oder die Bevölkerung unterstützt die Radfahrer nach Kräften, z.B. mit spontanen Übernachtungsmöglichkeiten; letzteres gilt übrigens für ausländische Reisende allgemein.
Am schlechtesten schneidet bei mir Israel ab. Das Land ist zwar hochinteressant mit vielen kulturhistorischen Orten, doch die Politik ist schlicht fehlgeleitet. Die Regierung tut wirklich viel, um die Bevölkerung feindlich gegenüber Nicht-Juden bzw. Ausländern einzustellen. Leider trifft diese Haltung bei zu vielen Bürgern auf fruchtbaren Boden.

 

Was sind noch Traumziele für dich?

Da gibt es eine ganze Menge: Das Nordkap, die Felsenkirche Lalibela in Ethiopien, die Ausgrabungen Macchu Pichu in Peru, der Uluru in Australien und noch viel mehr.

 

Würdest du sagen, du reist noch oder, dass du an ständig wechselnden Orten lebst – also eher ein Lebensgefühl damit verbindest?

Das ist eine gute Frage. Viele Gedanken habe ich mir darüber noch nicht gemacht.
Das Alter fordert doch langsam einen Tribut. Nach einer anspruchsvollen Radtour über weite Strecken und durch bergiges Gelände benötige ich schon eine verlängerte Regenerationszeit bevor ich die nächste Reise antreten kann. On Tour sehe ich mich als Reisenden, während der Regeneration eher als ortsfesten Bewohner, auch wenn dieser Ort nicht mein Zuhause ist.

 

Wenn du zurück nach Deutschland gehen würdest, was würdest du vermissen und worauf würdest du dich am meisten freuen?

Vermissen würde ich das freundliche Lächeln der Asiatinnen.
Freuen würde ich mich auf die persönlichen Interaktionen mit alten Freund/innen.

 

Wo könnte man dich in diesem Jahr auf der Straße noch antreffen?

Im Sommer in Serbien und im Winter auf der Nordinsel Neuseelands. Dazwischen möchte ich einen Stop in Zentraljapan einlegen und mein Patenkind bei Hamburg besuchen.

 

 

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